Die FAZ berichtet in diesem Artikel (vom 08.05.2020) über die seit 23. März über dem Durchschnitt liegenden Sterbefallzahlen in Deutschland. Soweit, so richtig.
Der Artikel zeigt als "Banner" die Verladung eines Sarges in einen Leichenwagen, was auch sonst. Ganz am Ende des Artikels kommt dann die Grafik, welche die Basis für die Aussage des statistischen Bundesamtes ist, welches die Entwicklung für "auffällig" hält:
Mittlerweile scheint man die Bevölkerung seitens der Presse für vollkommen denkunfähig zu halten.
Was sagt diese Grafik?
In der Tat liegen die Zahlen seit dem 23.03. über dem Durchschnitt der Vorjahre, was ja jetzt die Besorgnis auslöst. Denn das Bundesamt vermisst die auslaufende Grippewelle.
Welche Grippewelle?
Die Grippewelle hat ihren Namen von der Form in solchen Statistiken. Seht Ihr in diesem Jahr eine Welle? Ich nicht.
Man kann die Daten beim statistischen Bundesamt als Excel-Datei herunterladen und sich im Detail ansehen. Die Gesamtsterbezahlen lassen sich in den Arbeitsblättern mit dem Namen "D_20xx_Tage" tagesweise einsehen, und zum Beispiel die gesamte Zahl von Todesfällen
- vom 1.1. bis 23.03. durch die Summe der Zellen "B10..CF10"
- vom 1.1. bis 12.04. (weiter geht es hier nicht) durch die Summe der Zellen "B10..CZ10"
erhalten. Wie im Vorwort in der Datei richtig erwähnt, sind die diesjährigen Zahlen vorbehaltlich zu sehen, aber es geht hier ja um das Prinzip.
Sieht man sich diese Zahlen an, relativiert sich das Bild erst recht:
Es bleibt festzuhalten: Wir hatten seit 2016 kein Jahr mehr mit weniger Sterbefällen in den ersten 15 Kalenderwochen!
Was kann die Ursache für den Anstieg sein?
Richtiger müsste die Frage eigentlich lauten: Warum gibt es dieses Jahr keine Grippewelle? Und keine Corona-Welle?
Fakt ist: An den Lockdown-Maßnahmen seit Mitte März kann es nicht gelegen haben, denn die Grippewellen in den Vorjahren waren zu diesem Zeitpunkt schon wieder im Abflauen begriffen (Anmerkung: Meines Wissens ist das, was wir als Grippewelle bezeichnen, ein Gemisch aus Infektionen verschiedener Bakerien, Grippe-, Corona- und Rhinoviren). Außerdem können die Lockdown-Maßnahmen frühestens nach der Inkubationszeit plus Behandlungs- bzw. Überlebenszeit in der Sterblichkeitsstatistik zum Tragen kommen, da sie ja Ansteckungen verhindern sollen.
Interessant ist doch, dass auch rund vier Wochen nach dem Einsetzen der Maßnahmen keine deutliche Abnahme der Sterblichkeit erfolgt. Und nach den relativ aktuellen Euromomo-Zahlen dies bis heute nicht der Fall ist. Die Maßnahmen scheinen somit weitgehend wirkungslos zu sein (bezüglich des Virus, bezüglich Alltag und Stimmungslage nicht).
These: Ursache für die ausbleibende Welle
Ich vermute: Obwohl vor der Karnevalszeit das neue Virus noch allgemein verharmlost wurde (wahrscheinlich, weil im Rheinland die wichtigen Sitzungen die Karnevalssitzungen sind), haben vermutlich etliche Deutsche (wir neigen zur Vorsicht) sich ein wenig zurückgehalten, auch beim Apres-Ski in Ischgl.
Ich habe mal in Riga englische Touristen erlebt - vorsichtig formuliert: Trinkfest und distanzarm - und würde mich nicht wundern, wenn das zu den britischen Zuständen beigetragen hätte (übrigens trotz Lockdown). Aber das nur am Rande.
Wir können aber davon ausgehen, dass die Selbstdisziplin der Bevölkerung hier Schlimmeres verhindert hat - und zwar im Bezug auf Grippe und Corona.
Das sollte sich die Politik mal genau ansehen und überlegen, ob es wirklich notwendig war, ein ohnehin vorsichtiges Volk noch in Panik zu versetzen!
These: Ursache für die jetzige relative Übersterblichkeit
Wer die Entwicklung der letzten Wochen aufmerksam verfolgt hat, wird sich gefragt haben, ob die Verschiebung von Operationen und das Fernbleiben der Patienten keine Nebenwirkungen haben wird. Wenn das alles folgenlos bliebe, wäre das schon ein sehr schlechtes Zeugnis für eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt.
Es gehört nicht viel Phantasie dazu sich auszumalen, dass etliche zusätzliche Todesfälle fast zwangsläufig sein werden, die aufgrund verschleppter Eingriffe und Diagnosen entstehen.
Dazu kommt, dass der schwedische Virologe Johan Giesecke in diesem Interview bereits am 24.04.2020 darauf hinweist, dass wir die Todesfälle mit dem Lockdown vor allem verschieben werden. Zitat:
Wir sollten in einem Jahr über die Zahl der Toten sprechen und Österreich und Schweden vergleichen. Dann wird die Zahl in etwa gleich hoch sein. Mit dem Unterschied, dass Schwedens Wirtschaft verhältnismäßig besser dastehen wird.
(im Interview bezieht sich Giesecke auf Österreich, das aber ganz ähnlich wie Deutschland - vielleicht noch eine Spur hysterischer, z.B. mit Kussverbot - reagiert hat)
Fazit
Die dem Artikel zugrunde liegenden Zahlen sind weder ein Beleg für die Erfolge der deutschen Corona-Politik, noch für die stets beschworene epochale Gefährlichkeit des SARS-COV2 Virus.
Wir hätten - und das gilt weltweit, meine ich - gut daran getan, der Bevölkerung zu vertrauen, sie rechtzeitig (VOR KARNEVAL) auf die potentielle Gefahr hinzuweisen und ansonsten die Entwicklung aufmerksam und sachgerecht zu verfolgen. Schweden war hier meines Erachtens nach vorbildlich, denn auch dort sind sinnvolle Maßnahmen wie Verbot von Großveranstaltungen rechtzeitig erfolgt - ohne das ganze Land in Panik zu versetzen, Angst, Misstrauen und Denunziantentum quasi zu Haupttugenden zu machen.
Was das angeht, schäme ich mich für mein Land (und viele andere).
Nun liegt das Kind im Brunnen und wir werden sehen, welche Folgen das Abwürgen der Wirtschaft noch haben wird. Die vergiftete Atmosphäre kann man jetzt schon täglich bestaunen. Schade um mein Land.
Nachtrag
Die Sache wird auch andernorts thematisiert. Macht Euch selbst ein Bild.
https://www.n-tv.de/panorama/Deutschland-registriert-mehr-Tote-als-sonst-article21767623.html