Högis Cyberspace

Gerhard Höger-Hansens private Website

Heute rief mich meine Tochter aus der Schweiz an, sie haben jetzt auch Maskenpflicht (erst mal im öffentlichen Verkehr, aber je nach Kanton auch anderswo) und eine Quarantäne, wenn man aus einem "Risikogebiet" einreist. Das mit der Quarantäne wird sie hoffentlich durch Tauschen von Diensten irgendwie geregelt bekommen, sonst ist der Urlaub futsch. Ich habe mir dann angesehen, was in der Schweiz gerade als "zweite Welle" (und bei uns als "Hotspot") geführt wird, und musste dann einen offenen Brief an das BAG in der Schweiz schicken. Frei nach Luther: Ich konnte nicht anders. Hoffentlich lassen sie mich dann noch rein frown. Hier der Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich schreibe Ihnen als Deutscher, dessen Tochter in der Schweiz mit einem Schweizer zusammen zwei Kinder hat. Ich bin mir bewusst, dass mein Wort in Ihrem Land per se kein Gewicht hat, dennoch hoffe ich, vielleicht einen Denkanstoss liefern zu können. Ich bitte Sie, dieses Schreiben nicht als unangemessene Einmischung zu betrachten, das liegt mir fern und es ist Ihnen selbstverständlich freigestellt, es einfach zu ignorieren.

Ich habe die Schweiz immer ein wenig bewundert und war froh, als meine Töchter den Weg in die Schweiz angetreten haben (die eine lebt momentan in Potsdam, wird mit ihrem Lebensgefährten aber im nächsten Jahr wieder nach Lausanne übersiedeln, wo er eine Stelle hat - er ist übrigens Luxemburger).  Ich schätze an Ihrem Land sehr die über Jahrhunderte gewachsene Demokratie mit ihren direkten Elementen, eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit "Mödeli", ein recht ausgeglichenes Einkommensniveau (im Gegensatz zu meinem zum Billiglohnland mutierten eigenen Land), eine im Vergleich zu meiner Heimat vielfältige Einzelhandelslandschaft und mehr. Meine Tochter lebt in Möriken, das mit Wildegg zusammen gerade mal 4.500 Einwohner hat. Selbst im Ortsteil Möriken selbst gibt es einen Volg, eine Bäckerei, einen Schlachter, zwei Frisöre, eine Tankstelle, einen Fairtrade-Laden und ein fantastisches "Chäsladli" (Auflistung unvollständig) - das können Sie in einem deutschen Ort vergleichbarer Größe lange suchen. Ein unschätzbarer Vorteil, gerade für eine älter werdende Bevölkerung.

Wir selbst wohnen im mittlerweile berühmt gewordenen Landkreis Gütersloh, den man in der hierzulande grassierenden Hysterie gerade zum "Corona-Hotspot" ernannt hat, obwohl bei rund 360.000 Einwohnern gerade mal 29 Menschen im Krankenhaus "im Zusammenhang mit Corona" behandelt werden. Und seit mindestens sechs Wochen kein Mensch mehr daran verstorben ist (insgesamt waren es bisher 21). Und das bei aktuell noch fast 500 "aktiven Fällen", vor zwei Wochen über 1.500.

Bisher hatte ich den Eindruck, die Schweiz ginge recht vernünftig mit der Pandemie um und lasse sich nicht unhinterfragt in Panik versetzen; das entspricht meinen Erfahrungen nach auch dem Schweizer Naturell. Leider scheint sich das, angetrieben durch reisserische Schlagzeilen wie "Zweite Welle erfasst die Schweiz", nun zu ändern. Dabei stelle ich beim Blick auf die Zahlen des BAG einen ähnlichen Effekt wie bei uns fest: Viele Infektionen, kaum Kranke. Wenn - im Falle der Schweiz - von 575 Infizierten gerade mal 2(!) hospitalisiert sind, machen wir hier nicht aus einer Chimäre ein Menetekel? Und wofür?

Mein Land hat sich für eine durch Angsterzeugung befeuerte Verbotspolitik im Kampf gegen das Virus entschieden, und jetzt ist schon erkennbar, welche Kollateralschäden das hat. Ich bin selbst seit über einem Vierteljahrhundert selbständig und ahne, dass nur deshalb noch viele Läden offen haben, weil das Insolvenzrecht momentan auf Eis liegt. Konkret heisst das, dass bis Ende September niemand vor Gericht landet, weil er seine Insolvenz nicht angemeldet hat. Aber an der wirtschaftlichen Belastung ändert das natürlich nichts, so dass im Herbst alle mit einer Pleitewelle rechnen. Glücklicherweise bin ich selbst nicht betroffen, aber das macht es für die Gesellschaft nicht besser.

Das ist, was ich Ihnen zu bedenken geben möchte: Wenn die Zahlen einigermaßen richtig sind, werden Sie mit Maskenpflichten und Angstpropaganda kein Menschenleben retten. Aber einen einmal ruinierten Einzelhandel bringt Ihnen so schnell keiner zurück, von anderen Kollateralschäden mal abgesehen. Gehen Sie nicht den Irrweg, dessen Konsequenzen bei uns die Meisten erst ganz langsam begreifen und die auch noch nicht vollständig absehbar sind. Gehen Sie lieber gezielt vor, wenn sie den einen oder anderen Tanzschuppen vorübergehend schließen, ist der Schaden sehr begrenzt, die Wirkung aber vermutlich weit höher. Schütten sie nicht auch noch das Kind mit dem Bade aus.

In diesem Sinne ein herzliches "Gruezi"

 

Gerhard Höger-Hansen